Berichte von den Veranstaltungen des Südtiroler Forstvereines

PRAXISTAG 2024 - Bodenstabilität nach Schadereignissen

Am 9. Mai 2024 fand die 3. Auflage des Praxistages zu aktuellen forstlichen Themen in Welschnofen statt und widmete sich dem Thema Bodenstabilität nach Schadereignissen.
Bei herrlichem Wetter führte uns Hermann Gallmetzer vom Forstinspektorat Bozen II zu einer durch den Windsturm Vaia zerstörten Fläche, auf welcher sie in Eigenregie Schneerechen errichtet hatten. Mit der großflächigen Zerstörung der Wälder ging die Sorge über mögliche Gefahrensituationen wie Steinschlag, Erosion, Rutschungen oder Lawinen einher.
Aufgabe des Forstinspektorates war die Bewertung der Lawinengefahr. Um diese Gefahren zu bewältigen, identifizierte man zunächst Flächen, die Objektschutzwälder, Bodenschutzwälder oder besonders hohe Hangneigungen aufweisen. Aufgrund des hohen Risikos für Lawinenabgänge bei Hangneigungen von über 70 %, wurden jene Hänge technisch mit Schneerechen aus Holz nach den Richtlinien der Eidg. Forschungsanstalt WSL verbaut. Die Holzrechen sollen etwa 40 Jahre halten, bis die Naturverjüngung die Funktion übernimmt. Als Bauholz wurde heimisches Kastanienholz verwendet, das sehr dauerhaft ist. Vor Ort wurden horizontale Bermen ausgehoben, in welche die Holzstrukturen eingebaut wurden. Talseitig wurde eine Eisenplatte eingegraben, um ein Setzen des Bauwerks zu verhindern. Jedes Element ist 4 m lang, etwas über 2 m hoch und 23 m vom nächsten Rechen entfernt. Sie sind auf eine Schneehöhe von maximal 2 m ausgerichtet. Die ca. 1.000 lfm Schneerechen wurden über den staatlichen Katastrophenfonds finanziert. Um die Naturverjüngung zu unterstützen, wurden zwischen den Schneerechen erfolgreich verschiedene heimische Baumarten wie Bergahorn, Fichte und Lärche gepflanzt. In Zukunft wird die Fichte, gemeinsam mit der Lärche als Nebenbaumart, bestandesdominierend sein und durch entsprechende Pflege soll eine Laubholzbeimischung erreicht werden. Hinsichtlich Wildverbiss konnten bisher keine größeren Einbußen festgestellt werden, obwohl der Rotwildbestand zu hoch ist. Die Jägerschaft wird zu einer konsequenten Erfüllung des Abschussplans ermutigt, da ohne diesen die Etablierung eines Laubholzanteils nicht möglich ist.
Die Verjüngung spielt eine wichtige Rolle im Schutz der Windwurfflächen vor Bodenerosion. Besonders gefährdet sind Flächen mit umgekippten, entwurzelten Stöcken. Es wird versucht offene Bodenwunden mithilfe von Schreitbaggern zu schließen, um die Hangstabilität zu gewährleisten. Je steiler der Hang (v.a über 80 %), desto häufiger tritt Bodenerosion auf. Dort, wo der Boden Bodenbedeckung aufweist, wird die Erosion gebremst.
Neben Hangneigung und Bodenbedeckung ist die Bodenstabilität auch von der Bodenart und -zusammensetzung abhängig, z.B. von der Wasserdurchlässigkeit, dem Porenvolumen und den Anteilen an Sand, Schluff und Lehm.

Nach einer wohlverdienten Jause erwarteten uns bereits die nächsten beiden Vorträge.

Hannes Markart (Amt für Forstplanung), Davide Refatti (Forststation Sarntal) und Giovanna Nordio (Freie Universität Bozen) stellten das Forschungsprojekt MONIVA (Monitoring auf vom Windsturm Vaia beschädigten Waldflächen) vor. Dieses Forschungsprojekt entstand im Jahr 2019, in Zusammenarbeit zwischen der Freien Universität Bozen und der Abteilung Forstdienst. Ziel des Projektes ist es, die Wiederbewaldung (sowohl natürlich als auch künstlich), den Oberflächenabfluss und die Bodenerosion auf den vom Windsturm Vaia beschädigten Waldflächen für mindestens 10 Jahre zu untersuchen. Das Beobachtungsgebiet liegt in der Nähe vom Lavazé-Pass, im Eigentum der E.B.N.R. Deutschnofen.
Es wurden 4 Messstationen errichtet, wobei sich die Standorte hinsichtlich der Bodenbedeckung und der Art der Bewirtschaftung unterscheiden. Jede Station wurde mit verschiedenen Messinstrumenten (Waage, Hydrometer, Radarniederschlagsmesser) ausgestattet und mit einer ca. 27 m² großen Untersuchungsfläche gekoppelt.
Messstation 1: Das Windwurfholz Vaia wurde nicht aufgearbeitet, der Wald wird der natürlichen Entwicklung überlassen;Messstation 2: Das Windwurfholz vom Jahr 2000 wurde aufgearbeitet, der Wald wurde der natürlichen Entwicklung überlassen (mittlerweile Jungwuchs);Messstation 3: Das Windwurfholz vom Jahr 2000 wurde aufgearbeitet, der Wald wurde aufgeforstet (mittlerweile Dickung);Messstation 4: Das Windwurfholz Vaia wurde aufgearbeitet, der Wald wurde aufgeforstet.
Zusammenfassend wurden folgende vorläufige Ergebnisse (2020 – 2023) vorgestellt:
  • Nach kurzen, heftigen Sommergewittern war bei allen vier Messstationen die Bodenerosion unverhältnismäßig höher als der Wasserabfluss;
  • In der Messstation 1 verzögerte sich der Wasserabfluss um durchschnittlich 5 Minuten zu allen übrigen Messstationen;
  • Längere Trockenperioden oder ein frühzeitiges Auftauen des Bodens beschleunigen den Wasserabfluss und die Bodenerosion;
  • Die Wasserabflussspitzen waren in den Messstationen 1 und um ca. 30% geringer als in den Messstationen 3 und 4;
  • Die Bodenerosion ist in den Messstationen 1 und 2 geringer als in den Messstationen 3 und 4.
Über diese – durchaus nicht erwarteten Ergebnisse – können zurzeit nur Mutmaßungen angestellt werden. Ein höherer Wasserabfluss wird möglicherweise durch eine höhere Streuauflage bzw. eine besondere Mikrotopographie innerhalb der aufgeforsteten Flächen gefördert, mehr Bodenerosion ist möglicherweise auf die Bodenbearbeitung der aufgeforsteten Flächen zurückzuführen. Jedenfalls wird dieses Monitoring in den nächsten Jahren mit zusätzlichen Messinstrumenten (Wasserabflussmodelle, Kameras) fortgesetzt, wobei auch angedacht wird, weitere Messstationen zu errichten (Altholzbestand, Totholzbestand, Weide).
Weitere Vortragende waren Andreas Agreiter und Bernd Pardeller von der Agentur Landesdomäne, welche die Geschehnisse und die Bewältigung von Schadholzereignissen seit dem Sturm „Vaia“ im Landesbetrieb erklärten.
Herr Agreiter berichtete, dass der Sturm „Vaia“ etwa 170 ha des Waldbesitzes der Agentur im Raum Latemar beschädigte. Zur Aufarbeitung der Sturmschäden wurden verschiedene Bringungsmethoden diskutiert, darunter auch die Verwendung neuer Maschinen für weniger steiles Gelände, wie Seilbagger und Skidder, die den Waldboden schonen und kostengünstiger sind. In den Monaten Februar und März 2019 wurden ca. 30 mit „Vaia-Holz“ beladene LKW pro Tag verkauft, während zugleich 20 Maschinen im Wald unterwegs waren, um die Schadholzmenge von insgesamt ca. 130.000 Vfm aufzuräumen. Um die verkaufte Holzmenge zu kontrollieren, wurden Pläne mit den Holzlagerplätzen erstellt, Lieferscheine über Whatsapp vorab verschickt und Bilder von der Tunnelüberwachung im Eggental, welche von der Polizei zu Verfügung gestellt wurden, überprüft. Die Aufarbeitung erfolgte vor allem durch Schlägerungsunternehmen aus dem Ausland, was aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse zu weiteren Herausforderungen führte (z.B. Arbeitssicherheit).
2019 und 2020 traten Schneedruckereignisse auf, die das Aufkommen des Borkenkäfers begünstigten. Der Käfer befiel vor allem alte Bestände, was aufgrund der guten Verjüngungsansätze in den entstandenen Freiflächen jedoch kein großes Problem für die Natur darstellt. Interessanterweise waren vor allem Bäume auf der Schattenseite betroffen, was auf Trockenstress zurückgeführt wird. In den letzten zwei Jahren wurden etwa 40.000 Vfm Käferholz aufgeräumt, was 10% des lokalen Holzvorrates entspricht. 2023 kamen zusätzlich 8.000 Vfm Windwurfholz hinzu. Die neu gebildeten Freiflächen zeigen aufgrund ihrer mäßigen Steilheit keine größeren Erosionsprobleme und weisen bereits Jungwuchs auf. Da es sich nicht um Schutzwälder handelt, wird Naturverjüngung bevorzugt und Aufforstungen wurden nur an wenigen Stellen durchgeführt. Dabei wurden ca. 3.000 Pflanzen pro Jahr gesetzt, davon am meisten Tannen, weil Samenbäume fehlen und man sie als Mischbaumart fördern möchte. Die Pflanzen werden nicht eingezäunt, da Wildverbiss in diesem Gebiet keine große Rolle spielt: das Rotwild zieht im Winter in tiefere Lagen, das Reh- und Kahlwild soll auf den Freiflächen stärker bejagt werden. Naturverjüngung findet man vor allem auf exponierten Standorten wie Rücken und Flächen, die der Sonne ausgesetzt sind. Mulden und nordexponierte Bereiche erschweren das Aufkommen der Verjüngung durch Konkurrenz wie Vergrasung und Verkrautung.
Rückblickend wurde überlegt, ob mehr Totholz hätte belassen werden sollen. Zukünftig sollen 25-30 Vfm Totholz pro Hektar belassen werden, um die Struktur und Feuchtigkeit zu verbessern und Kadaververjüngung zu ermöglichen. Käferbäume an den Rändern werden teilweise stehen gelassen, um die Angriffsfläche nicht zu vergrößern und den Restbestand nicht zu schwächen. Die rechtzeitige Entnahme des frisch befallenen Holzes bleibt eine Herausforderung, da dies innerhalb von sechs bis acht Wochen geschehen muss.
Nach einer kurzen Busfahrt erreichten wir den letzten Vortragsstopp: ein Rückhaltebecken am Tscheinerbach.
Hansjörg Prugg vom Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung Süd sprach über technische Maßnahmen gegen Wassergefahren und Massenbewegungen. Der Tscheinerbach, bestehend aus kalkhaltigem Moränenmaterial, zeigte sich in den letzten Jahren als Problembach. Aufgrund starker lokaler Gewitter kommt es immer wieder zu konzentrierten Abflüssen und Murgängen. Im Jahr 1995 wurde ein Becken gebaut, um das Material zurückzuhalten. Murereignisse traten 2007 und 2015 auf, und spektakuläre Abflussmengen wurden beim Sturm „Vaia“ 2018 erreicht. Auch 2019 gab es ein großes Murereignis, das die Nigerpassstraße unter 1,5 bis 2 m Material begrub. Durch dieses Ereignis vergrößerte sich der Graben im unteren Bereich auf eine Breite von 4-5 m und einer Tiefe von ca. 3 m. In der Folge wurden im unteren Teil mit „Vaia“-Geldern Zyklopensteine als Querrigel befestigt, um ein weiteres Einschneiden des Baches zu unterbinden.
Das Becken muss regelmäßig geräumt werden, wobei eine Freifläche im angrenzenden Wald als Zwischenlager dient, um das Material später zu verarbeiten. Das Material wird vor Ort gebrochen und sortiert, was finanzielle Vorteile bringt, da lange Transportwege entfallen. Sowohl Wildbachverbauung, als auch Domäne, Gemeinde und die Forstbehörde (Wegebau) verwenden das gewonnene Material. Der Gefahrenzonenplan der Gemeinde Welschnofen, der sich in der Genehmigungsphase befindet, sieht für diesen Graben ein erhöhtes Gefahrenpotential vor. Ein weiteres Becken oberhalb der Nigerpassstraße soll zukünftig 30.000 – 40.000 m³ Material zurückhalten, um die Gefahr zu reduzieren.
Nach all diesen spannenden und interessanten Vorträgen ließen wir den Tag bei einem gemeinsamen Mittagessen in der Forstschule Latemar ausklingen.

Lea Oberhofer